WG115 – Briefentwurf an Alma Mahler
Berlin, zwischen Dienstag, 27. Dezember 1910 und Sonntag, 1. Januar 1911

Seele u Körper müssen

in demselben Umfange Ruhe
finden. Stunden so trauriger Er-

 kenntnis

   
Ich glaube jetzt ganz deutlich
zu fühlen, daß Deine seltenen
kurzen Nachrichten inneren
innersten Gründen bei Dir
entspringen, die mich ferner
rücken von Dir je näher
ich Dir ans Herz wachse,
aber es tut mir weh
weh, daß Du nicht das
Vertrauen, den Mut hast
es mir zu schreiben, Dein
Herz in diese treuste
Brust, die für Dich lebt
nicht ausschüttest.
Das ist der einzige Vor-
wurf, den ich Dir machen

kann, denn um der schreck-
lichen Zwiespälte selbst
willen, die Dich offenbar
(ähnlich wie in München)
erfaßt haben) tust Du
mir so wahnsinnig leid

ich leide um Dich wahrlich
mehr noch als um mich
selbst.

 Mir fällt es immer
plötzlich wie Schuppen von
den Augen so eben, als
ich Deinen Brief las, über
den ich wie ein Verhungerter
herstürzte

 Ja ich war allein ohne
ein Wort, ohne ein Zeichen
Deines Gedenkens an diesem Tage.
mußte das wirklich sein.

 Du schweigst beharrlich
auf alle meine Fragen

, es muß \wieder/ etwas geschehen
Du kannst es nicht verzetteln \ich will kein verzetteln in unseren
Beziehungen/. Meine Hände
strecken sich aus nach Deiner
Seele – vergeblich; mein
Herz verblutet sich und
Du tust nichts, um den

Strom aufzuhalten

Bin ich nun wieder einsam
soll alles trostlos werden
Wie kann ich Dir so eine Stütze
sein? Wenn ich Deine Seele
habe, will ich heiter sein und
alle Hiebe des schweren Lebens
mit Gleichmut entgegennehmen,
aber allein –

 Ich habe Dir viele
Seiten ganz anderes geschrieben,
aber nachdem ichs überlesen
sende ich Dir nur dieses.
es schmerzt mich tief, daß
ich Dir nicht mehr alle
meine innersten Gedanken
sagen darf \ich will nur trösten
nicht sagen, wie es in meinem Innen ausgesehen hat/

 Damals in München
wurde es mir klar, welche
Gefahren aus Deiner Ehe für
unsere Liebe entsprangen, ich
schrieb Dir dann jenen verzweifelten
Brief im Hotel Kummer
der bei Gott ein Opfer war.
Du lehntest ihn ab u machtest
mich glauben, daß Du stark
genug seist fürs Leben Nutzen

   geben

Das ist das Leid des er-
kenntnisreichen Menschen,
daß die gnädige Selbsttäuschung
zeitweise zerfällt

 Münchner Brief

________
meine \unsere/ große Leidenschaftliche
Liebe, die sich von großen
Opfern nährt, die nur im
Dunstkreise des Geheimnisses
gedeiht u immer von
schrecklichen Gefahren bedroht wird

 Der Anblick des Glücks
macht erst unglücklich

 edle Gesinnung

 erste Nacht

 Brief Wien
Das Gefühl daß Du Dich mir
fürs Leben hingegeben

Lese diese Nacht

Ich sehe zu deutlich, daß für
mich nur eine Frau existiert


Apparat

Überlieferung

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Quellenbeschreibung

4 Bl. (4 b. S.) – Notizblock, erste Seite mit abgetrenntem oberem Ende ().

Druck

Erstveröffentlichung.

Korrespondenzstellen

Antwort auf AM53 vom 17. Dezember 1910 (Du wirst allein sein[,] Walter – warum können wir dieses Fest der Feste nicht zusammen haben?): Ja ich war allein ohne ein Wort, ohne ein Zeichen Deines Gedenkens an diesem Tage.

Datierung

Aufgrund der Korrespondenzstelle kann dieser Entwurf als Antwort auf AM53 vom 17. Dezember 1910 verstanden werden, den AM zwar am 17. verfasst, jedoch erst am 18. oder 19. Dezember zur Post gebracht hatte. Bei einer Postlaufzeit von 8 bis 13 Tagen musste WG ihren Brief zwischen dem 27. Dezember 1910 und 1. Januar 1911 erhalten haben und sendete seinen Brief Nr. 17 am 1. Januar ab.

Übertragung/Mitarbeit


(Tim Reichert)


A

Beethoven – s. AM53 vom 17. Dezember 1910: Beethovenabend.

B

Deinen BriefAM53 vom 17. Dezember 1910.

C

\wieder/ – in Tinte.

D

\ich will […] Beziehungen./ – in Tinte.

E

Brief im Hotel Kummer – aus dem Entwurf WG73 vom 16. September 1910, in dem eine Trennung von in Erwägung gezogen hatte.

F

Münchner Brief – Gemeint ist während Aufenthalt in München zur Uraufführung der . Entwürfe nicht überliefert.

G

Brief Wien – s. Brief im Hotel Kummer.